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Masterarbeit Merle Becker-Bertau: Täterinnen im Nationalsozialismus und „Trümmerfrauen“ in der Nachkriegszeit – eine Analyse zweier Erinnerungsnarrative in der deutschen Erinnerungskultur

Autorin: Merle Becker-Bertau

In der hier vorgestellten Masterarbeit werden die bestehenden erinnerungskulturellen Narrative von Täterinnen im Nationalsozialismus (NS) sowie von ‚Trümmerfrauen‘ in der Nachkriegszeit analysiert und in Bezug auf ihre Bedeutung für das deutsche kollektive Gedächtnis hinterfragt. Das Besondere ist dabei der Blick auf die Strukturkategorie ‚Geschlecht‘ und damit verbundene Weiblichkeitskonstruktionen eines scheinbar friedfertigen weiblichen Wesens, welche sich in den genannten Narrativen manifestieren. Um den Narrativbildungen entgegenzuwirken und nicht gar selbst Teil der Reproduktion dieser zu sein, entsteht für die Erziehungswissenschaft die Notwendigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit der Entstehung, Weitergabe und Funktion von erinnerungskulturellen Narrativen.


Weibliche Täterschaft wurde im Zusammenhang mit dem NS lange Zeit nicht beachtet und Frauen wurden höchstens als Mittäterinnen anerkannt. Kam es dennoch zu einer Verurteilung von Täterinnen, wurden diese Fälle in der Öffentlichkeit häufig als bestialische Einzeltäterinnen verhandelt (vgl. Hannemann 2011: 65). Seit den 1990er Jahren wird die Rolle der Frau im NS in der Forschung differenzierter betrachtet und auf die Problematik der inhärenten Weiblichkeitskonstruktionen im Umgang mit den Täterinnen des NS aufmerksam gemacht.
Auch im Kontext der Erinnerungskultur der ‚Trümmerfrauen‘ widerlegt die Forschung mittlerweile ein rein friedfertiges und aufopferungsvolles Bild der Frauen, welche ohne Zuhilfenahme von Maschinen in der Nachkriegszeit eigenmächtig begannen, deutsche Städte zu enttrümmern. Dennoch werden derartige einseitige Weiblichkeitsvorstellungen in der Erinnerungskultur aufrechterhalten und die Ereignisse des NS weiterhin überwiegend mit männlichen Tätern in Zusammenhang gebracht (vgl. Jaiser 2021: 7; vgl. zu den ‚Trümmerfrauen‘ vorrangig Treber 2014).


Die theoretische Rahmung der Forschungsarbeit erfolgt maßgeblich auf Grundlage der Überlegungen von Aleida Assmann, auf die sich die Begriffsbestimmung des kollektiven (deutschen) Gedächtnisses zurückführen lässt (vorrangig 2018 & 2020). Die Narrative der Täterinnen im NS und der ‚Trümmerfrauen‘ sind Teil dessen. Die für das jeweilige Narrativ relevanten Informationen, werden innerhalb des Kollektivs gesichert und weitergegeben und finden Ausdruck in der deutschen Erinnerungskultur. Die Inhalte des kollektiven Gedächtnisses sind dabei dynamisch und können im Zeitverlauf unterschiedlich priorisiert werden. Dies trifft ebenfalls auf die Forschungsnarrative zu, wobei die Vorstellung über das friedfertige Wesen der Frau dabei bislang nicht überwunden wird.


Ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Erinnerungskultur im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus ist die Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung. Diese steht jedoch im Konflikt mit einem positiven Selbstbild des Kollektivs– hier der Nation. Durch die Inszenierung eines positiven nationalen Selbstbildes werden Schuld und Verantwortung abgewehrt oder zumindest relativiert (vgl. Salzborn 2020: 17,44). Die Narrative der Täterinnen und ‚Trümmerfrauen‘ in der Er- innerungskultur, welche trotz gegensätzlicher Forschungserkenntnisse
aufrechterhalten werden, erfüllen in diesem Zusammenhang eine Funktion für die deutsche Erinnerungskultur. In beiden Fällen bilden die Vorstellungen eines genuin friedfertigen weiblichen Wesens ein Entlastungsargument innerhalb der Erinnerungskultur, welches dem positiven nationalen Selbstbild dient. Die Unschuld qua ‚Geschlecht‘ anzunehmen, bedeutet, einen Teil der Bevölkerung aus der Verantwortung am NS zu ziehen. Dadurch wird auch ein unbelastetes Erinnern an die nach Kriegsende uneigennützig trümmerräumenden Frauen möglich, da die Verbindung zu potenzieller Täterinnenschaft aufgrund der zugrundeliegenden Weiblichkeitsvorstellungen abwegig scheint. Die ‚Trümmerfrauen‘ bedienen damit ein Bild von trotz allem gebliebener Menschlichkeit und einem gesellschaftlichen Verdienst, die dem Selbstbild positiv zugeschrieben werden können.


In der Masterarbeit wird das Fortbestehen einer einseitig positiv inszenierten deutschen Erinnerungskultur zugunsten des kollektiven Gedächtnisses mithilfe von bestehenden Forschungserkenntnissen analysiert und differenziert beleuchtet. Eine kritische Erziehungswissenschaft ist hierbei mit zwei grundlegenden Herausforderungen konfrontiert: Zum einen mit den Auswirkungen von Narrativbildungen innerhalb der Erinnerungskultur. Zum anderen mit der Integration geschlechtssensibler Bildung in die historisch-politische Vermittlung, wenn sie sich nicht in die Kontinuität
eines Erinnerns um der Entlastung oder Versöhnung willen einreihen will.


Literaturverweise:
Assmann, Aleida (2018): Der Lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. (3. Aufl.). München: C.H. Beck.
Assmann, Aleida (2020): Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention (3.Aufl.). München: C.H. Beck.
Hannemann, Isabelle (2011): Täterinnenschaft und weibliche Grausamkeitsmotivation. Raum. Körper und Wahrnehmung.
In: Brunner et al. (Hrsg.): Volksgemeinschaft, Täterschaft und Antisemitismus. Beiträger zur psychoanalytischen 90 Sozialpsychologie des Nationalsozialismus und seiner Nachwirkungen. Gießen:
Psychosozial. S. 57-110.
Jaiser, Constanze (2021): Vielfältige Geschichten ergeben erst die große Geschichte – Frauen in den Weltkriegen. In: Lernen aus Geschichte – Magazin. lernenaus-der geschichte.de/sites/default/files/attach/lag_februar_2021_frauen_erinnerung.pdf. Letzter Zugriff am:
22.01.2021.
Salzborn, Samuel (2020): Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern. Berlin u.a.: Hentrich & Hentrich.
Treber, Leonie (2014): Mythos Trümmerfrauen. Von der Trümmerbeseitigung in der Kriegs- und Nachkriegszeit und der Entstehung eines deutschen Erinnerungsortes. Essen: Klartext.

Bildrechte: Sammlung Deutsche Fotothek

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Masterarbeit Anna Rose Samuel: Das Leben als Jüdin im schottischen Exil – Eine Tagebuchanalyse zur exemplarischen Alltagsdarstellung

Autorin: Anna Rose Samuel

„Das Exil, wie die Angst, »fressen Seele auf«,

es zehrt am innersten Ansatz der Seele, da, wo sie anfängt.

Es löscht alle Bilder, Stimmen, Gerüche und Geräusche aus,

es zwingt zur Selbstumstülpung.

Das Exil stülpt einen um, wie einen Sack.

Das Exil läßt einen nie los, es sitzt einem in der Brust.“

(Goldschmidt 2020, S. 9)

Der vorliegende Auszug aus dem Buch „Vom Nachexil“ von dem französisch-deutschen Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt stellt einen Versuch des 92-jährigen jüdischen Autors dar, das von ihm erlebte Exil und die Bedeutung dieser Erfahrung für sein Leben zu verstehen. Es zeugt vom Vergessen, von einer erlebten Heimatlosigkeit, von einem nie weichenden psychischen und körperlichen Leidensdruck, welches das von Jüd*innen erlebte Exil birgt. Die Sichtung jener Textstelle verweist auf das zentrale Forschungsthema der hier vorgestellten Masterarbeit.

In der Arbeit geht es um das Leben im Exil der Jüdin Franziska Thomas, die sich nach der von ihrem nicht-jüdischen Mann und dessen Eltern ausgehenden erzwungenen Trennung am 26.06.1939 an Bord der „Reiher“ befindet und mit etwa 34 Jahren ohne Partner und Familie vor den Maßnahmen der politikgewordenen antisemitischen Ideologie des NS-Regimes ins schottische Exil floh. Während ihrer Überfahrt begann Franziska Thomas mit einem Tagebuch. Das Tagebuch bildet die Grundlage einer qualitativen Tagebuchanalyse und ist Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit den Alltagserfahrungen einer Jüdin im schottischen Exil. Die Gruppe jüdischer Frauen, die aufgrund des Nationalsozialismus aus Deutschland geflohen und in ein anderes Land emigriert ist, findet in der aktuellen Forschung verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit. Tiefer weist die Forschung eine Lücke im Rahmen der Frauenexilforschung verknüpft mit dem Exilland Schottland auf. Hieraus begründet sich das Thema der Forschungsarbeit beziehungsweise das Anliegen das Alltagsleben einer Jüdin im schottischen Exil im Hinblick auf diverse im Tagebuch enthaltenen Aspekte exemplarisch darzustellen.

Zunächst skizziert die Arbeit den historischen Überblick über die anti-jüdischen Maßnahmen. Die Einschränkungen, Entrechtungen und Gewalttaten erschwerten das deutsch-jüdische Leben, zerstörte Existenzen und erzwang diverse Fluchtstrategien.

Weiterhin verweist die Forschungsarbeit auf etwaige Forschungsergebnisse im Rahmen der Allgemeinen Exilforschung sowie der Frauenexilforschung (vgl. Gesellschaft für Exilforschung – AG Frauen im Exil). Mit Blick auf die Frauenexilforschung legt die interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Frauen im Exil“ wichtige Veröffentlichungen vor. Sie behandeln Aspekte wie etwa Wohnsituation, Ernährung, Begegnungen und Bindungen sowie finanzielle Situation. Darüber hinaus beziehen sich die Ergebnisse der Frauenexilforschung auf die Bereiche Partnerschaft, Ehe und Trennung (vgl. Schmeichel-Falkenberg 2007, S. 17f.). Als zentrales Ergebnis der Frauenexilforschung gilt die höhere Bereitschaft der Frau, das nationalsozialistische Deutschland zu verlassen und ins Exil zu flüchten. Darüber hinaus zeigen Erkenntnisse, dass sich Frauen aufgrund ihrer höheren Flexibilität leichter in die fremde Umgebung eingewöhnten und in diesem Zuge häufiger dazu befähigt waren den finanziellen Lebensunterhalt der Familie zu sichern (vgl. ebd.). Weiterhin lebten sie aufgrund gleichzeitiger Erwerbstätigkeit, Hausarbeit und Bewältigung des Alltags in der Fremde, häufig unter Doppel- und Mehrfachbelastungen.  (vgl. ebd.).

In Auseinandersetzung mit der erziehungswissenschaftlichen Tagebuchforschung zeigt die Arbeit, dass sich diese bisher stark auf die Kindheits- und Jugendforschung konzentrierte und das Potenzial einer Verknüpfung von erziehungswissenschaftlicher Tagebuch- und Exilforschung bisher nicht genutzt wurde. Die Bedeutung der erziehungswissenschaftlichen Erforschung schrifttragender Dokumente des Exils besteht darin, dass diese einen Einblick in die Vielfalt von Motiven, Bedeutungen und Funktionen des Tagebuchschreibens gibt. Darüber hinaus ermöglicht diese die Betrachtung von Jüd*innen als handelnde Subjekte und widersetzt sich dem Bild verfolgter Jüd*innen als passive Opfer und Objekte von Antisemitismus, Diskriminierung und Mord (vgl. Heim 2015, S. 82). In Bezug auf das Tagebuchschreiben im Exil verweist die Forschung auf die Ventilfunktion autobiographischen Schreibens. Jenes geht mit dem Versuch einher, die Gedanken zu ordnen, die psychischen Belastungen niederzuschreiben, das Geschehene zu dokumentieren und ggf. als Nachlass zu überliefern sowie einen inneren Dialog mit sich selbst, einem/einer realen und/oder imaginären Adressat*in zu führen (vgl. ebd).

Mit Blick auf die Auswertungsmethode der Artefaktanalyse, die auf Manfred Lueger sowie Ulrike Froschauer (2017) zurückgeht, verknüpft die Arbeit die Gattung des Tagebuchs mit dem Artefaktbegriff. Die Artefaktanalyse hebt das Tagebuch als Dokument einer sinnhaft geladenen Beziehung zwischen dem Buch als Objekt und Franziska als Akteurin hervor. Angesichts der Auswertungsergebnisse bot das Tagebuch für Franziska einen intimen, verschließbaren Ort um Gefühle von Trennung, Sehnsucht, Einsamkeit und Krankheit aufzuschreiben und zu verarbeiten.

Im Hinblick auf die Anfang 1960 von Strauss und Glaser geprägte Grounded Theory, die einen Erkenntnisgewinn textgebundener Aspekte wie etwa Motive, Zustand, Funktion, Bedeutung und Handhabung ermöglicht, konnte die Arbeit die zentralen inhaltlichen Aspekte des Geschriebenen von Franziska kategorisieren und auswerten. Zunächst nutzte Franziska das Buch als Poesiealbum, in dem sie und ausgewählte Freundinnen bekannte Gedichte von beispielsweise Goethe und Schiller niederschrieben. Die Umnutzung von Poesiealbum hin zum Tagebuch erfolgte mit der Flucht in das schottische Exil.

Mit Blick auf die Tagebuchforschung lässt sich hervorheben, dass Franziska aufgrund der erzwungenen Trennung ihres Mannes alleine ins Exil ging und keine eigens intendierte Fluchtbereitschaft zeigte. Dieses Ergebnis steht in Gegensatz zu dem der Frauenexil-forschung, dass Frauen eher zur Flucht bereit waren. Die Erkenntnis der Frauenexilforschung hinsichtlich der schnelleren Gewöhnung an das Exilland und der damit verbundenen Befähigung von Frauen, den finanziellen Lebensunterhalt der Familie zu sichern, steht ebenfalls im Gegensatz zu den Ergebnissen der Tagebuchforschung. Franziska floh – konträr zu vielen Exilantinnen – ohne Partner und war aus diesem Grund gezwungen den finanziellen Lebensunterhalt zu sichern. Identisch zu dem Ergebnis der Frauenexilforschung, dass Jüdinnen das Leben im Exil und die damit verbundenen Herausforderungen annahmen und als Fügung in das eigene Schicksal begriffen, steht das Ergebnis der Tagebuchanalyse. Franziska stellte ihr Leben im Exil unter den Willen Gottes und benannte ihren Lebensverlauf häufig als Schicksal, wobei sie dieses nur schwer annahm. Franziskas Leiden unter Doppel- und Mehrfachbelastung sowie der niemals endende Versuch der Bewältigung des Exillebens bestätigt das Ergebnis der Frauenexilforschung. Ihre Doppel- und Mehrfachbelastung war ähnlich zu den Ergebnissen der Frauenexilforschung von Erwerbstätigkeit, Hausarbeit und Alltagsbewältigung geprägt. Die Tagebuchanalyse zeigt jedoch auch, dass jene nicht die einzigen Aspekte der Belastung im Exilleben Franziskas waren. Vielmehr war sie von Einsamkeit, Sehnsucht, fehlendem Anschluss und seelischer sowie körperlicher Krankheit geprägt. An Stelle eines warm welcomes bekam Franziska im schottischen Exil eher Reserviertheit und Ablehnung zu spüren. Ihr Alltag im Exil war von den stetig wechselnden Posten und ihrer dort vorherrschenden Rolle als Dienstmädchen geprägt, wodurch psychische sowie körperliche Erschöpfung und Krankheit folgte. Die starke Sehnsucht nach ihrer in Deutschland zurückgebliebenen Familie, der Trennungsschmerz sowie die Einsamkeit, zogen einen kontinuierlich schlechter werdenden Gesundheitszustand von Franziska mit sich. Schließlich verstarb Franziska nach etwa vier Jahren Exilleben in Schottland im Alter von 38 Jahren. Weiterhin identisch zu den Erkenntnissen der Frauenexilforschung, steht die Tagebuchanalyse im Hinblick auf das autobiographische Schreiben als Möglichkeit psychische Belastungen niederzuschreiben und einen inneren Dialog mit sich selbst und/oder einem Adressaten zu führen. Franziska adressierte ihr Tagebuch an ihren deutschen Mann.

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DFG Projekt: Paradoxe Bildung – Widerstand – Überleben

Geheimer Unterricht und Kinderzeichnungen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück

Projektlaufzeit: 2020-2023

Projektleitung und -durchführung: Prof. Dr. Meike Sophia Baader, Dr. Wiebke Hiemesch

Projektmitarbeiter*innen: Gesa Bochen, Grażyna Kamień-Söffker (Bearbeitung polnischsprachiger Texte)

Außeruniversitäre und internationale Kooperationen: Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück; Universitätsbibliothek Lund/Schweden

Projektskizze: 

Im Zentrum des beantragten Projektes stehen zwei unerschlossene Quellenbestände aus dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Der erste umfasst 50 Blätter mit Zeichnungen eines polnischen vierzehnjährigen Mädchens, die – zumindest teilweise – in einer Kindergruppe entstanden. Der zweite Quellenbestand beinhaltet zwölf Unterrichtshefte, die von polnischen Frauen und Kindern im Lager hergestellt wurden und offenbar Material für eine versteckt organisierte Unterrichtsform bereitstellten. Vermutlich stehen die Zeichnungen in einem Zusammenhang mit dem Unterricht und beide Quellenbestände verweisen damit auf kulturelle Praktiken, die gegen die offizielle Lagerordnung verstießen. Diese sollen im Rahmen des Projektes analysiert werden. Damit zielt das Projekt darauf, das Wissen über Unterricht in Zwangslagern, das sich bislang vor allem auf das Lager Theresienstadt bezog, um die Erforschung von Unterrichtsformen in Ravensbrück zu erweitern und mit kinderkulturellen Praktiken, wie dem Anfertigen von Zeichnungen, in Verbindung zu bringen.

Diese Aspekte des (Über-)Lebens von Kindern unter der Gewaltherrschaft des Lagers differenzierter zu beschreiben, ist Ziel des Projektes. Dazu werden die Quellen erstens systematisch erschlossen, zweitens in ihren historischen Kontexten analysiert, drittens an kindheits- und bildungshistorische Diskurse rückgebunden und viertens öffentlich zugänglich gemacht. Leitend ist dabei der Begriff der ‚paradoxen Bildung’, der an Fragen zu „paradoxen Erziehungsverhältnissen“ im Lager anknüpft (Brumlik 2014). Welche Spannungsverhältnisse damit verbunden waren, soll durch das Projekt genauer geklärt werden.

Methodisch wird mit praxistheoretischen Zugängen der historischen Kultur- und Sozialwissenschaften gearbeitet. Diese ermöglichen es sowohl die textliche und bildliche Ebene zu erfassen, als auch die spezifischen Entstehungsbedingungen und Rezeptionsweisen der Kinder und Frauen unter den Extrembedingungen weitestgehend zu rekonstruieren. Die Zeichnungen werden multiperspektivisch unter der Beteiligung verschiedener Disziplinen interpretiert werden. Damit trägt das Projekt dazu beitragen, die bisher wenig ausgearbeiteten Methoden zur Auswertung von Zeichnungen und hergestellten Objekten in der historischen Kindheits- und Bildungsforschung weiterzuentwickeln. Darüber hinaus beinhaltet das Projekt eine erinnerungskulturelle Dimension, da es die Praktiken der verfolgten Kinder und Erwachsenen sichtbar macht und paradoxe Bildungsprozesse als Widerstandsformen analysiert. Zudem stellt es Material bereit, das somit für weitere wissenschaftliche, erinnerungskulturelle und pädagogische Arbeit zugänglich sein wird. Erwartbar sind Ergebnisse für die Geschichtsschreibung des Nationalsozialismus sowie für die historische Bildungs- und Kindheitsforschung, die das Wissen über Unterrichtsformen als widerständige Praktiken im Lager erweitern und damit verbundene paradoxe Bildungsprozesse genauer beschreibbar machen. Weitere Infos:

https://www.uni-hildesheim.de/fb1/institute/institut-fuer-erziehungswissenschaft/allgemeine-erziehungswiss/forschung/forschungsprojekte/laufende-projekte/paradoxe-bildung-widerstand-ueberleben/

Abbildung: German/Polish vocabulary book made in a Nazi concentration camp (Folio 3r), The Polish Research Institute in Lund (PIZ), vol. 29:1

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Forschungsprojekt: Verfolgung weiblicher Delinquenz im KZ Moringen

Ansprechpersonen: Aljoscha Napp, Meike Baader

Kooperationspartner*innen: KZ-Gedenkstätte Moringen

Arbeitstitel: Verfolgung weiblicher Delinquenz im KZ Moringen

In der Bundesdrucksache 19/11092 wurde deutlich, dass Projekte gefördert werden sollen, die sich mit der Verfolgung von Frauen auseinandersetzen, welche, aufgrund ihres Widerstands gegen das NS-Regimes, in Konzentrationslagern inhaftiert wurden. Die Auseinandersetzung mit der Differenzkategorie Geschlecht und die damit zusammenhängende, fehlende Würdigung von explizit weiblichen Formen des Widerstands, ist demnach in aktuellen erinnerungskulturellen Diskursen unterrepräsentiert und erzeugt insbesondere Forschungsdesiderate an den Orten ehemaliger Frauenkonzentrationslager, wie beispielsweise Moringen.

Hier war von 1933 bis 1938 das erste Frauenkonzentrationslager des NS-Staates eingerichtet, in dem, neben anderen diversen Häftlingsgruppen, auch Frauen aus dem politischen Widerstand inhaftiert wurden. Eine der ersten Insassinnen war Hannah Vogt, die sich schon früh politisch in der KPD gegen das NS-Regime einsetzte. Wegen eines sogenannten „Verdachts des Hochverrates“ wurde Vogt verhaftet und von Juni bis Dezember 1933 im Frauenkonzentrationslager interniert. Aus dieser Haftzeit ist ein Briefwechsel erhalten, der die Kommunikation zwischen Vogt und ihren Eltern aus und in das Frauenkonzentrationslager dokumentiert.

Vogt überlebte die Zeit im Konzentrationslager Moringen und begann 1937 eine Ausbildung zur Schwesternhelferin beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). Ihr Einsatz beim DRK brachte Vogt in die Nähe der SS, da sie in der sogenannten „Einwandererzentralstelle“ arbeitete, welche zunächst in Posen stationiert war. Diese hatte innerhalb des NS-Staates die Funktion, mit Hilfe von pseudowissenschaftlichen und rassenbiologischen Kriterien, Menschen, wie den sogenannten „Deutschbalten“, aus den vom deutschen Reich besetzten Gebieten Osteuropas umzusiedeln. Nachdem der Einsatz in Posen beendet war, wurden sogenannte „fliegende Kommandos“ gebildet, die in Polen die verschiedenen Ghettos besichtigten und auch an diesen Orten Menschen für mögliche Umsiedlungen kategorisierten. Hierbei kam Vogt in Kontakt mit dem SS-Arzt Gerhard Schiedlausky, der später für seine rassehygienischen und pseudomedizinischen Versuche im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück durch die Alliierten zum Tode verurteilt wurde.

Auf diesen beide Schwerpunkte, also der Haftzeit Vogts im Frauenkonzentrationslager Moringen und ihrer Zeit beim DRK, beziehungsweise bei der „Einwandererzentralstelle“, liegt als erstes der Fokus des Forschungsvorhabens. Zunächst soll mit Hilfe eines Methodenmix aus qualitativen Forschungsmethoden, wie der Grounded Theory, der Briefwechsel zwischen Vogt und ihren Eltern analysiert werden. Die leitende Forschungsfrage ist hierbei, wie die Haftzeit von weiblichen Häftlingen im Frauenkonzentrationslager Moringen wahrgenommen und in diesem konkreten Fall von Hannah Vogt beschrieben wird. Ferner soll der Briefwechsel dahingehend untersucht werden, ob, und wenn ja welche, individuellen Handlungsmöglichkeiten trotz des Zwangskontextes eines NS-Konzentrationslagers für weibliche Häftlinge bestanden bzw. welche Räume sich durch das Handeln von Einzelnen möglicherweise eröffneten. Konkret soll nach Formen jeglicher Subjektivität an einem Ort der systematischen und gewaltförmigen Entsubjektivierung geforscht werden, welche sich beispielsweise in dem Erleben des Lageralltags sowie in den Beziehungen zu anderen Mithäftlingen oder den Eltern wiederfinden lassen könnten. Da hierbei nach sozialen Praxen gesucht wird, bietet sich die Artefaktanalyse als zweite Forschungsmethode an. Markus Hilgert folgend erweist sich die Artefaktanalyse als interdisziplinäre Forschungsmethode, die nicht-textliche Merkmale von Artefakten in den Blick nimmt und Objekte als Artefakte versteht, denen von handelnden Subjekten Bedeutung zugeschrieben wird. Demzufolge hebt die Methode der Artefaktanalyse die Bedeutung nicht-textlicher Eigenschaften von Objekten hervor, bei der die Spuren von sozialen Praktiken aufgedeckt werden. Da diese auch zentral für die Erforschung des zweiten Zeitabschnitts innerhalb Vogts Biographie sind, werden die vorgestellten Methoden auch hieraufhin angewendet, obgleich der Forschungsschwerpunkt erweitert wird. Neben der Erforschung der subjektiven Wahrnehmung Vogts während der Zeit bei der „Einwanderzentralstelle“ soll vor allem die ambivalente Konstellation untersucht werden, in der sich Vogt als ehemalige KZ-Inhaftierte und DRK-Angestellte im NS-Verwaltungsapparat mit Nähe zu SS-Personal wie Schiedlausky befand.

Ziel ist es, mit Hilfe des Nachlasses von Hanna Vogt weibliche Formen des Widerstands gegen das NS-Regime sichtbar werden zu lassen und auf Grundlage qualitativer Forschungsmethoden fundierte Aussagen über das Erleben des Lageralltags zu erhalten. Darüber hinaus wird nach potentiellen Formen von Subjektivität und nach sozialen Praxen innerhalb des Frauenkonzentrationslagers Moringen gefragt. Außerdem liegt der Fokus auf möglichen ambivalenten Konstellationen, die in der Zeit von 1937-1941 in der Zeit Vogts beim DRK liegen könnten. Deren Erforschung trägt dazu bei, Biographien von Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus nicht nur auf ihren anonymisierten Opferstatus zu reduzieren, sondern sie als handelnde Subjekte mit komplexen Lebensläufen innerhalb erinnerungskultureller Diskurse in Erscheinung treten zu lassen.

Durch Kooperationen und engen Austausch mit dem Forschungsprojekt Paradoxe Bildung von Polinnen im Konzentrationslager Ravensbrück kann so ein Beitrag zur Geschichte weiblichen Widerstandes geleistet werden.

Abbildung: Aljoscha Napp im Archiv der KZ-Gedenkstätte Moringen. Zur Verfügung gestellt von: KZ-Gedenkstätte Moringen.

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2019 collection

Let’s face it, no look is really complete without the right finishes. Not to the best of standards, anyway (just tellin’ it like it is, babe). Upgrading your shoe game. Platforms, stilettos, wedges, mules, boots—stretch those legs next time you head out, then rock sliders, sneakers, and flats when it’s time to chill.